Gastbeitrag: Markus Pflüger, Antiatomnetz Trier, www.antiatomnetz-trier.de
Verhindert Bure die Energiewende und sichert den Weiterbetrieb von Cattenom und anderen Atomkraftwerken?
Das französische Dorf Bure liegt 150 Kilometer Luftlinie von der deutsch-französischen Grenze in der Großregion Saar-Lor-Lux-Rheinland-Pfalz. Der Ort mit seinen etwas über 80 Einwohnern gehört zum Departement Meuse in der Region Lothringen, seine südwestliche Grenze ist auch die Grenze zum Département Haute-Marne.
In dieser Region gibt es bereits zwei Atommülllager: Soulaines und Velaines für schwach bis mittelradioaktiven Müll. Ein weiteres Endlager dieser Art wurde bisher durch den Widerstand von Gemeinden verhindert. Bure als „Versuchslabor“ für hochradioaktiven Müll wurde dagegen von vielen Bürgermeistern akzeptiert. Millionen flossen in die Kassen von Gemeinden, die Zustimmung sei erkauft, sagen Kritiker.
Auf der Gemarkung von Bure errichtete die französische Atommüllagentur ANDRA (Agence Nationale pour la Gestion des Déchets Radioactifs) ein sogenanntes Versuchslabor für die Endlagerung von hochradioaktivem Müll.
Die Bohrarbeiten in Bure starteten im Jahr 1994. Seitdem gibt es Widerstand. Im Jahr 2000 wurde trotz Protesten aus ganz Frankreich und dem angrenzenden Ausland in rund 500 Metern Tiefe ein „Forschungslabor“ eingerichtet: ein etwa 500 Meter langer, 4,5 Meter hoher und 3,5 Meter breiter Tunnel. Hier untersuchen Geologen, Chemiker und Physiker – auch aus Deutschland und mit deutschen und europäischen Forschungsgeldern, ob die etwa 130 Meter dicke Lehmschicht für die Einlagerung von hochradioaktiven Abfällen geeignet ist. Nach Angaben der ANDRA ist das Lager zunächst für 6000 Kubikmeter Müll konzipiert. Dies entspricht der Menge an Atommüll, die seit Inbetriebnahme der französischen Atomkraftwerke bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits entstanden ist und die bis 2030 noch anfallen wird. Allerdings werden für die nächste Generation von Atomkraftwerken, die Europäischen Druckwasserreaktoren (EPR), die berechneten Kapazitäten noch nicht einmal ausreichen.
Europäisches Endlager mit deutscher Unterstützung?
Umweltschützer befürchten, dass in dem Endlager auch Atommüll aus dem Ausland landen könnte, beispielsweise aus Deutschland. Zudem liegt Bure auf der Route von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague in Richtung deutsche Grenze. Umweltschützer kritisieren das Projekt aus demokratischen, politischen und wissenschaftlichen Gründen.
Die europäische Dimension und die deutsche Verquickung spiegeln Meldungen deutscher Medien wider:
„Endlager-Standort zu werden ist wegen der staatlichen Subventionen äußerst lukrativ. Das lothringische Bure hat gute Chancen.“ (ZDF, Heute in Europa 30.10.2011).
„Deutsche Forscher von der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover halten das im Bau befindliche Atommüllendlager im lothringischen Bure für ausreichend sicher. Das Tongestein in rund 500 Metern Tiefe sei sehr dicht.“ (SR 7.10.2011) oder: „Ab dem Jahr 2025 soll im französischen Dorf Bure mit der Lagerung hochradioaktiver Abfälle begonnen werden. Die Forschungsarbeiten dazu werden von Deutschland finanziell mitunterstützt.“ (Deutschlandfunk: 18.10.2011).
Dabei geht es nicht nur um deutsche Gelder und Forschung, sondern auch um handfeste Hilfe: „Im saarländischen Lehrbergwerk Velsen werden derzeit französische Bergleute für das mögliche Atommüllendlager in Bure bei Toul ausgebildet. Es handelt sich um eine Kooperation zwischen deutschen Stellen und der Atommüllbehörde in Paris.“ (SR 10.10.2011)
Im Sommer 2006 wurde ein Gesetz über die Entsorgung der radioaktiven Abfälle durch nur 19 von 577 Abgeordneten des französischen Parlaments angenommen – mehr waren nicht anwesend. Sie bestätigten damit die Fortsetzung der Forschungen bis 2016. Dann soll ein Umwandlungsgebiet entstehen (zone de transposition), das heißt in einem Gebiet 200 Quadratkilometer um Bure kann unterirdisch das Endlager entstehen.
Entgegen anfänglicher Behauptungen wird inzwischen auch von irreversiblen Einlagerungen gesprochen. Die neuesten Pläne nennen sich Centre Industriel de Stockage Géologique CIGEO, es umfasst ein riesiges Gebiet inklusiver oberirdischer Atomanlage mit erhöhten Grenzwerten. Nach bisheriger Planung soll mit der Einlagerung hochradioaktiver Abfälle ab 2025 begonnen werden.
Die wichtigsten Kritikpunkte
- Es gibt einen eklatanten Widerspruch zum Gesetz, das drei Standorte vorschreibt. Nur Bure zu untersuchen, ist eine illegale Vorfestlegung.
- Es gab millionenschwere Subventionen, mit denen die Zustimmung zu einem „Versuchslabor“ erkauft wurde. Echte Bürgerbeteiligung sieht anders aus und wird auch im Nachhinein nicht glaubwürdiger.
- Es gibt auch eine deutsche und europäische Beteiligung (EURATOM) – geht es also doch um ein europäisches Endlager? Das Projekt muss auch die angrenzenden Regierungen interessieren, sie müssen eingebunden werden.
- Es gibt laut einer Untersuchung der Geologen Murrot und Muller geologischen Verwerfungen im Gebiet. Diese fehlen auf der Karte der ANDRA.
- Das Gebiet hat einen grundwasserreichen Untergrund, was die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung erhöht – es geht um die hydrogeologischen Zusammenhänge z.B. bis ins Pariser Becken.
- Das Geothermiepotential wird nicht untersucht – Gesetze verbietet andere Nutzungen.
- Bei der gesamten Planung und Durchsetzung des Endlagerprojekts fehlte Bürgerbeteiligung und Transparenz – jetzt sind Tatsachen und Abhängigkeiten geschaffen worden.
- Endlagerung von Atommüll dient dem Weiterbetrieb von Atomanlagen. Daher ist für die Antiatombewegung wichtig: Keine weitere Produktion von Atommüll! Wenn die Badewanne überläuft, muss zuerst der Hahn abgedreht werden. Dann kann man sich der Eingrenzung des Schadens widmen.
- Es wird erst dann möglich sein, einen gesellschaftlichen Konsens über den Umgang mit Atommüll zu erreichen, wenn keine neuen hochradioaktiven Abfälle mehr produziert werden. Denn so lange manche Konzerne mit dem Betrieb von Atomkraftwerken noch viel Geld verdienen können, wird es aller Erfahrung nach keine ehrliche und auf größtmögliche Sicherheit bezogene Entsorgungsdebatte geben. Die Risiken der am wenigsten schlechten Lagermethode sind nur dann hinnehmbar, wenn diese nicht zur Legitimation von weiterer Atommüllproduktion missbraucht wird.
- Es ist wissenschaftlich nicht seriös, ein Endlager für Millionen Jahre als sicher zu bezeichnen, es geht um Wahrscheinlichkeiten nach dem bisherigen Stand der Forschung. Tatsächliche Erfahrungen mit Verpackung, Gestein, Erdbeben, Meeresspiegelanhebungen, Verwerfungen, Reaktionen auf Hitze und Radioaktivität – der Müll ist heiß und strahlt noch Tausende Jahre! – gibt es nicht. Die zeitliche Dimension, zum Beispiel einen Testzeitraum von 1000 Jahren, die für eine seriösere Aussage für eine Millionen Jahre notwendig ist, kann es auch nicht geben, denn der Müll sollte eine Millionen Jahre sicher von der Biosphäre abgeschirmt sein. Hinzu kommt die Unsicherheit, ob zukünftige Gesellschaften überhaupt noch wissen, was da verbuddelt ist, von den Gefahren terroristischer Anschläge und der Weiterverwendung des radioaktiven Materials ganz zu schweigen.
- Zuerst müssen die Fehler der Vergangenheit aufgearbeitet werden. Wesentliche Experten und von der Regierung beauftragte Forschungsinstitute haben über Jahrzehnte behauptet, die Endlager Morsleben und Asse seien auf Dauer sicher. Heute ist bekannt, dass sich diese Gutachter fatal geirrt haben: Morsleben stürzt ein und die Asse säuft ab – es gibt noch kein Konzept zur Bergung der plutoniumhaltigen Atommüllsuppe. Bisher haben diese Wissenschaftler und die Politiker nicht aufgearbeitet, warum ihnen derartige Fehleinschätzungen unterlaufen sind. Wer aber die Fehler der Vergangenheit nicht erkennt, läuft Gefahr, sie in Zukunft zu wiederholen. Gleiches gilt für die politisch Verantwortlichen, deren wesentliche Entscheidungen in der Atommüllfrage sich im Nachhinein als große Fehler erwiesen haben.
Protest und internationales Widerstandshaus
Neben dem französischen Netzwerk Atomausstieg, der französischen Koordination gegen Atommüllendlagerung, örtlichen Initiativen und internationalen Unterstützern aus angrenzenden Ländern, gibt es seit 2004 auch das internationale Widerstandshaus „Bure Zone Libre“. Es ist ein strategischer Ort gegenüber dem Infobüro CLIS (Comité Local d’Information et de Suivi), Kritiker betiteln es als die Pseudobürgerbeteiligung. 2004 wurde ein alter Bauernhof mitten in Bure gekauft, nach und nach renoviert und zum Treffpunkt für Atomkraftgegner gemacht, an dem sie Informationen erhalten und sich austauschen können. Es gibt Übernachtungsmöglichkeiten, Workshops, Ausstellungen und Veranstaltungen werden angeboten. Zudem wird hier die Energiewende praktisch umgesetzt: Holzheizung, Windrad, Solaranlage, Trockenklos, ein Gemüsegarten und die Erhaltung alter Bausubstanz kombiniert mit moderner Dämmung (z.B. Isoflok) und Lehmbauelementen. Jährlich gibt es Protestaktionen, Festivals und Treffen.
Bure als Scheinlösung
Bure hat europäische Dimension und für Atomkraftgegner steht fest: Bure soll trotz aller Kritikpunkte als Endlager durchgesetzt werden, hier ist internationale Solidarität durch Parlamente und die Bevölkerung notwendig, sonst wird mit Bure eine „Scheinlösung des unlösbaren Atommüllproblems“ geschaffen, die den Weiterbetrieb von Atomanlagen wie Cattenom ermöglicht.