/Ronald Maltha /Jürgen Kurz
Am 04. November demonstrierten 25000 Menschen in Bonn anlässlich 23. Internationalen Klimagipfels cop 23 für einen entschlossenen Weg zum Klimaschutz. Die Organisatoren des Protestes „Klima schützen – Kohle stoppen“, die von über 100 kleinen und großen Verbänden, Vereinen, Kirchen und Initiativen sowie Parteien bundesweit getragen wurde, forderten in ihrem gemeinsamen Appell:
„Gerade nach dem Ausstieg von Donald Trump aus dem Klimaabkommen reichen warme Worte allein nicht aus. Der Klimawandel bedroht schon jetzt Millionen Menschen. In vielen Ländern des Südens sind die Folgen der Klimakrise besonders verheerend: Dürren, Hunger, Flucht, Vertreibung. Hauptgrund ist unsere Wirtschaftsweise mit einem maßlosen Verbrauch von fossilen Energien. Die deutsche Bundesregierung gibt sich als Klima-Vorreiter – doch die eigenen Klimaschutzziele wird sie deutlich verfehlen. Denn sie bremst die Energiewende aus und setzt weiter auf die Energiegewinnung durch Kohle. Mit unserem bunten und friedlichen Protest drängen wir die neu gewählte Bundesregierung, den Pariser Klimavertrag konsequent umzusetzen und die Kohlekraftwerke endlich abzuschalten. Gemeinsam mit Tausenden Menschen aus aller Welt kämpfen wir für Klimagerechtigkeit und 100 Prozent Erneuerbare Energien im Einklang mit der Natur. Von der neu gewählten Bundesregierung fordern wir schnelles Handeln und einen verbindlichen Fahrplan für einen sozialverträglichen Kohleausstieg. Schon in zwei Jahren muss die älteste und schmutzigste Hälfte der Kohlekraftwerke in Deutschland vom Netz sein. Denn der Klimaschutz entscheidet sich am Kohleausstieg!“
Das der Kohleausstieg machbar ist, haben das Öko-Institut und die Prognos AG im Auftrag des WWF festgestellt. Erstmals konnte berechnet werden, wie ein fairer Anteil Deutschlands an diesem globalen Emissionsbudget ermittelt werden kann und was dies für die Emissionsminderungsstrategien des deutschen Stromsektors bedeutet.
Wie die Überschrift bereits sagt, wird hier „vom Ziel her gedacht“. Das „maximal 2 Grad-Ziel“ des Pariser Klimaabkommens kann nur eingehalten werden, wenn ab 2015 weltweit nur noch rund 890 Milliarden Tonnen klimaschädliche Kohlendioxidemissionen ausgestoßen werden. Für Deutschland steht demzufolge ab 2015 ein CO2-Emissionsbudget von maximal zehn Milliarden Tonnen zur Verfügung; der deutsche Stromsektor darf ab 2015 nur noch rund vier Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre freisetzen. Die Studie „Stromsystem 2035+“ zeigt, dass der beschleunigte Ausstieg aus der Stromerzeugung durch Kohle ein zentrales Element zur Einhaltung dieses Ziels bildet.
Stilllegung der Kohlekraftwerke ist Schlüssel zum Klimaschutz
Das Forschungsteam berechnete dafür unterschiedliche Optionen für das Auslaufen der Stromerzeugung aus Kohle und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das entwickelte Transformationsszenario beschreibt, wie die klimaschutzpolitischen Erfordernisse umgesetzt, Übergänge ohne Brüche gestaltet und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden können. Dafür müssen ab 2019 alle alten, mehr als 30 Jahre betrieben Kohlekraftwerke stillgelegt werden. Bis 2035 sollte die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle komplett durch klimafreundlichere Erzeugungskapazitäten ersetzt werden. Das können der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere Wind- und Solaranlagen, sowie für einen Übergangszeitraum Erdgaskraftwerke abdecken.
„Für die Umsetzung dieser Strategie ist eine Mischung von Kapazitäts- und Emissionsmanagement, also dem gesteuerte Abbau von Kohlekraftwerkskapazitäten und einer Obergrenze für die Treibhausgasemissionen ab einem bestimmten Lebensalter der Anlagen nötig“, fordert Dr. Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie & Klimapolitik und Projektleiter der Studie am Öko-Institut. „Konkret bedeutet das, dass Kohlekraftwerke einerseits nicht länger als 30 Jahre betrieben werden dürfen. Und dass sie ab dem 21. Betriebsjahr jährlich nicht mehr als maximal 3,35 Tonnen CO2 je Kilowatt Kraftwerksleistung emittieren dürfen. Dies kann ordnungsrechtlich vorgegeben, über einen zusätzlichen Preis auf CO2-Emissionen erreicht oder vertraglich mit den Kraftwerksbetreibern vereinbart werden.“
Zugleich braucht es aus Sicht der Studienersteller einen deutlich verstärkten Ausbau der erneuerbare Energien und Investitionen in den Strukturwandel insbesondere für die Regionen, in denen heute Kohlekraftwerke und Braunkohletagebaue betrieben werden. Nur so könne die Anpassung an eine klimafreundliche Stromproduktion verträglich gestaltet werden.
Exporte verringern, Braunkohleförderung stoppen
Wichtig für den Kohleausstieg, so die Expertinnen und Experten, sei der Abbau der hohen Exportüberschüsse Deutschlands aus der CO2-intensiven Stromerzeugung. Diese waren die seit der Jahrtausendwende massiv angestiegen, da die Betriebs- und Brennstoffkosten für die Stromerzeugung aus Kohle besonders niedrig waren. Im Jahr 2015 erreichten die Stromexporte einen Höchstwert von 52 Terawattstunden (TWh), was knapp neun Prozent des Bruttoinlandsverbrauchs an Strom entspricht.
Zudem ergeben die Analysen, dass die Braunkohleförderung deutlich verringert werden kann, da künftig deutlich weniger Mengen benötigt würden. Ausstehende Genehmigungsverfahren für die Erweiterung von Tagebauen sollten gestoppt werden, bis der Ausstieg aus der Kohle als Energielieferant politisch geklärt ist. Der der Rückbau und die Renaturierung von Tagebauflächen solle finanziell durch die Verursacher, also die Energiewirtschaft, abgesichert werden.
In einer Sofortmaßnahme könnten bereits jetzt 7 Gigawatt an Kraftwerkskapazität von Kohlekraftwerken stillgelegt werden. Dies bestätigt ein gemeinsames Papier von Bundesnetzagentur und Bundeswirtschaftsministerium, zudem würde das Abschalten von Kohlekraftwerken die Stromnetze in Deutschland entlasten. „Der Großteil der Kohlekraftwerke hat heute eine belastende Wirkung auf das Netz“, zitiert die Nachrichtenagentur dpa aus diesem gemeinsamen Papier. Wenn Kohlekraftwerke abgeschaltet würden, könnte dies die Versorgungssicherheit steigern. Selbst bei Dunkelflauten – also wenn sowohl Photovoltaik- als auch Windkraftanlagen kaum Strom produzieren – wäre die Versorgung in Deutschland nicht gefährdet, wenn Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von sieben Gigawatt stillgelegt würden.
Hintergrund: Struktur und Klimawirkung der Stromerzeugung aus Kohle
Der Anteil der Treibhausgasemissionen des Stromsektors an den gesamten deutschen Emissionen macht derzeit 37 Prozent aus. Die deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerke verursachen aktuell gut 80 Prozent der gesamten CO2-Emissionen des Stromsektors (48 Prozent Braunkohle- sowie 33 Prozent Steinkohleverstromung). Die deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerke bestehen zu erheblichen Anteilen aus alten, bereits refinanzierten Anlagen mit besonders hohen Emissionswerten, die bis 1990 in Betrieb genommen worden sind. So sind 48 Prozent der Braunkohlekraftwerke und 51 Prozent der in Steinkohlekraftwerken heute schon älter als 25 Jahre.
Quellen: www.klima-kohle-demo.de und Öko-Institut Freiburg/Berlin