Wolf von Fabeck, mit freundlicher Genehmigung von Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V.
Umdenken bei der Stromversorgung: Versorgungssicherheit und Zukunftsvorsorge gehören nicht in die Hand von gewinnorientierten Konzernen
Versorgungssicherheit
In der deutschen Stromversorgung richtet sich die Stromerzeugung grundsätzlich nach dem Strombedarf der Stromverbraucher.
Werden die deutschen Stromversorger diesem hohen Anspruch gerecht – oder haben sie nur Glück gehabt, dass es bisher nicht zum großen Blackout gekommen ist?
Inhalt
- Versorgungssicherheit als unverzichtbare Überlebensvoraussetzung
- Die Forderung „Just in time“ ist grundlegend für die Effizienz unseres hochgradig vernetzten Systems
- Gigantomanie als Selbstzweck? Größer ist nicht besser!
- Das Restrisiko steigt durch den Zusammenschluss der nationalen Verbundnetze zu einem Europäischen Verbundsystem (EV)
- Die Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) beschreibt furchtbare Folgen
- Argumentation auf niedrigstem Niveau
- Wenn die Großkonzerne ihr Vabanque-Spiel verlieren, verlieren Tausende von uns Gesundheit, Vermögen und Leben
Im Jahr 2016 musste jeder Verbraucher nur noch eine durchschnittliche Unterbrechung der Stromversorgung von 12,8 Minuten hinnehmen.
Dieses erfreuliche Ergebnis verführt allerdings zu einer gefährlichen Sorglosigkeit, von der in diesem Beitrag die Rede sein soll.
Versorgungssicherheit als unverzichtbare Überlebensvoraussetzung
Eine hohe elektrische Versorgungssicherheit ist nicht nur ein Standortvorteil für die deutsche Volkswirtschaft. Die Versorgungssicherheit ist inzwischen zur unverzichtbaren Überlebensvoraussetzung für die Bevölkerung geworden und hat damit – unbemerkt von der Öffentlichkeit – einen neuen Stellenwert gewonnen.
Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hat sich dieser Frage in einer umfangreichen Studie angenommen. Im Vorwort dieser Studie aus dem Jahr 2010: „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“. heißt es dazu erläuternd: „
In modernen, arbeitsteiligen und hochtechnisierten Gesellschaften erfolgt die Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen durch ein hochentwickeltes, eng verflochtenes Netzwerk »Kritischer Infrastrukturen«. Dazu zählen u. a. Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Energieversorgung oder das Gesundheitswesen. Diese sind aufgrund ihrer internen Komplexität sowie der großen Abhängigkeit voneinander hochgradig verletzbar. Terroristische Anschläge, Naturkatastrophen oder besonders schwere Unglücksfälle haben nicht erst im zurückliegenden Jahrzehnt offenkundig gemacht, welche weitreichenden Folgen die Beeinträchtigung oder der Ausfall kritischer Infrastrukturen für das gesellschaftliche System insgesamt haben können.
Aufgrund der nahezu vollständigen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten würden sich die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls zu einer Schadenslage von besonderer Qualität summieren. Betroffen wären alle kritischen Infrastrukturen, und ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden. (Hervorhebung durch den Verfasser.)
Beim Lesen dieser Zeilen kommt einem leicht die trojanische Seherin Kassandra in den Sinn, die von Apollon verdammt worden war, dass sie zwar alles Unheil vorhersehen konnte, aber niemand ihre berechtigten Warnungen glaubte.
In der Tat hat die Studie des TAB nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden, vielleicht weil es den meisten Menschen sehr schwer fällt, sich die verheerende Auswirkung zeitlicher Verzögerungen in einem hochgradig vernetzten System vorzustellen, Dazu ein kleines Gedankenspiel:
Die Forderung „Just in time“ ist grundlegend für die Effizienz unseres hochgradig vernetzten Systems
Die Effizienz unseres Wirtschaftssystems beruht vornehmlich darauf, dass nahezu alles „Just in time“ geschehen muss. Wenn eine Ladung leicht verderblicher Lebensmittel ERST KURZ NACH dem Abflug des Transportflugzeuges am Flughafen ankommt, ist sie verloren. Die Empfänger am Zielort können das geplante Festessen nicht servieren. Die Gäste reisen vergeblich an. Der Lieferant hat einen finanziellen Verlust usw. Ein harmloses Beispiel – aber ausschmückungsfähig. Man könnte ein Gesellschaftsspiel daraus machen: ‚Wem fällt noch eine nachteilige Folge ein?‘
Besonders dramatisch sind Verzögerungen, wenn eine erwartete Hilfe ausbleibt, wenn die Feuerwehr beim Ausbruch eines Waldbrandes nicht erreicht werden kann, wenn die Polizei nicht kommt, obwohl die Einbrecher bereits die Haustür aufbrechen, oder wenn die passende Blutkonserve bei einer Operation auf sich warten lässt.
In einem derart auf zeitliche Abstimmung angewiesenen System wirkt es sich katastrophal aus, wenn viele unvermutete kleine Katastrophen gleichzeitig an vielen Stellen auftreten. Und wie lassen sich solche Katastrophen besser verbreiten – so könnten Terroristen überlegen – als mit der Elektrizität, die fast mit Lichtgeschwindigkeit Europa von Portugal bis Polen durcheilt. Dieser unerfreuliche Gesichtspunkt sollte nicht ganz außer Acht gelassen werden.
Das europäische Verbundsystem (jetzt „EV“ früher „UCTE“) ist ein europaweites engmaschiges Stromnetz aus Hoch- und Höchstspannungs-Leitungen zur Verteilung von elektrischer Energie. Es gehört zu den größten Maschinen der Welt. Millionen von Erzeugern und Abermillionen von Verbrauchern, Tausende von Batteriespeichern und Hunderte von Pumpspeicherkraftwerken, ein Gewirr von Mittelspannungs- und Niederspannungsleitungen, Transformatoren und sonstigen Schaltanlagen ist daran angeschlossen und es gibt unendlich viele Störungsmöglichkeiten, die sich – wenn sie gleichzeitig auftreten – gemäß einer Studie der TU Dresden gegenseitig verstärken und hochschaukeln können. Wenn in einem solchen Fall die richtige Reaktion unterbleibt oder zu spät kommt, oder wenn es vielleicht auch gar keine „richtige“ Reaktion mehr gibt, kann es zur Zerstörung überlebenswichtiger Stromerzeugungs- oder Schaltanlagen kommen und letztlich sogar zum totalen Blackout, bei dem aufgrund der noch zu beschreibenden sonstigen Zerstörungen der Infrastruktur ein Wieder-Anfahren des Stromversorgungssystems unmöglich wird.
Gigantomanie als Selbstzweck? Größer ist nicht besser!
Hunderte von gut funktionierenden Stromversorgungssystemen auf Inseln in allen Teilen der Welt sowie die Stromversorgungen auf Luxus-Kreuzfahrtschiffen beweisen, dass auch kleine Stromversorgungssysteme in der Lage sind, zuverlässig und preiswert elektrische Energie für alle denkbaren Zwecke zu liefern.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Begründungen unserer Stromversorger, warum es ausgerechnet in Europa trotz zunehmender Komplexität und sogar trotz möglicher kartellrechtlichen Einwände dennoch eine solche Monster-Lösung geben muss.
Die einzige uns bekannte Begründung lautet: „Je größer eine Regelzone ist, desto kleiner ist der relative Bedarf an Regelenergie, da die Ursachen für die Schwankungen meistens voneinander unabhängig sind und sich daher teilweise gegenseitig kompensieren“. (Wikipedia)
Dieser Satz bedarf einer Erläuterung: Es geht hier um das eingangs erwähnte Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch.
Wenn die Stromverbraucher plötzlich mehr elektrische Leistung benötigen, als die Erzeuger zur Zeit liefern können, wird zusätzliche ‚Regelenergie‘ benötigt. Aber nicht an allen Stellen des großen Verbundnetzes werden die Verbraucher mehr verbrauchen als erwartet, an manchen Stellen wird es auch weniger sein. In solchen Fällen ergibt sich voll-automatisch ein Ausgleich. Und was nicht vollautomatisch ausgeglichen wird, dorthin kann mit Lichtgeschwindigkeit von überall her über das europaweite Fernübertragungsnetz Regelenergie gesendet werden. (eventuell auftretende ‚Inter Aerea Oszillations‘ lassen sich durch geeignete Maßnahmen dämpfen, aber das muss hier nicht weiter erläutert werden.)
Entscheidend ist: je größer das Verbundnetz ist, desto mehr glaubt man, an Sicherheitsvorkehrungen sparen zu können!!
Das Restrisiko steigt durch den Zusammenschluss der nationalen Verbundnetze zu einem Europäischen Verbundsystem (EV)
Die von Wikipedia genannte Begründung für den Zusammenschluß der nationalen Stromnetze zu einem europäischen Verbund (EV) verweist auf die Möglichkeit, dass zufälliges Fehlen von Leistungsreserven (Regelenergie oder Momentanreserven) durch überschüssige Leistungsreserven in anderen angeschlossenen nationalen Netzes sich gegenseitig ausgleichen kann.
Diese Begründung enthält nicht nur einen, sondern mindestens vier bedenkliche Fehler.
1. Die Regelenergie soll nicht nur in den „meisten“ denkbaren Fällen, sondern sie soll auch im schlimmsten denkbaren Fall ausreichen. Eine worst-case Betrachtung gehört bei relevanten Sicherheitsfragen immer dazu!
2. Die Komplexität des Systems nimmt bei Vergrößerung zu und erschwert die Vorhersagbarkeit seiner Reaktionen und damit die Wahrscheinlichkeit einer fehlerhaften Reaktion. Die Schadenswahrscheinlichkeit nimmt also zu.
3. Die Schwere des Schadens bei einem Versagen nimmt ebenfalls zu
4. aus 2 und 3 ergibt sich das Restrisiko = Schadens-Wahrscheinlichkeit mal Schadenshöhe
Das unerfreuliche Ergebnis unserer Überlegungen lautet: Das Restrisiko steigt mit der Größenzunahme des Versorgungsgebietes.
Die Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) beschreibt furchtbare Folgen
Mit dem hier vorgelegten Beitrag wollen wir die Warnungen des TAB wieder in die öffentliche Diskussion bringen. Wem es (zu Recht) vor den Gefahren der Atomenergie graut, der hat noch erheblich mehr Anlass, sich vor den Auswirkungen eines großflächigen und langdauernden Blackouts zu fürchten. Dies wird beim Lesen des TAB-Beitrages überdeutlich.
Die Warnungen des TAB richten sich gegen keine Organisation, auch nicht gegen die Stromwirtschaft. Sie beschreiben nur mit unterkühlten Worten, was bei einem weiträumigen und langdauernden Blackout geschehen würde und wie aussichtslos die hierfür vorgesehenen Gegenmaßnahmen sind. Wie es zu einem solchen Blackout kommen kann, das bleibt offen.
Das Hauptrisiko ergibt sich nach Überzeugung des Verfassers aus der zunehmenden Größe des europäischen Verbundnetzes, wie im vorhergehenden Abschnitt vorgerechnet..
Argumentation auf niedrigstem Niveau
Es zeigt sich – wieder einmal! – dass man Versorgungssicherheit und Zukunftsvorsorge nicht gewinnorientierten Konzernen überlassen darf, die nach den Regeln des freien Marktes agieren. Für sie gilt vielfach der gewissenlose Satz: „Der Zweck heiligt die Mittel“ Das gilt auch für die Bedenkenlosigkeit der Überzeugungsarbeit, die von den Stromkonzernen geleistet wird.
Selbst in Fachbeiträgen zur Frage der elektrischen Versorgungssicherheit stößt man von Zeit zu Zeit auf abstruse Begründungen, warum denn die Gefahr eines großen Blackouts nur gering einzuschätzen sei. Das abstruseste Argument lautet: „So etwas ist noch nie passiert, deswegen ist es extrem unwahrscheinlich.“ Nicht sehr überzeugend: Nun lebe ich schon über 80 Jahre und bin noch immer nicht gestorben. Ist mein Tod ist deshalb extrem unwahrscheinlich?
Und gleich noch eine ‚Scheinlösung‘ für Leute, die unbedingt beruhigt werden wollen: „Wenn die elektrische Energie einmal wirklich nicht ausreicht, dann erledigen wir die überlebenswichtigsten Aufgaben eben hintereinander. Zuerst die Trinkwasserpumpen, (denn Trinkwasser ist am wichtigsten), dann die Benzinpumpen, dann die Abwasserpumpen, dann die Melkmaschinen, dann die Kühlhäuser oder irgendwie so ähnlich und auf das Fernsehen müssen wir wohl verzichten. Hauptsache, das Netz bleibt stabil.“ Dieser Lösungsansatz ist schon deswegen unsinnig, weil all die genannten Geräte die Stromlieferungen „Just in time“ benötigen und die Trinkwasserpumpen auch dann noch benötigt werden, wenn die Benzinpumpen bereits laufen.
Abstrakt formuliert: Eine quantifizierbare Menge (auch elektrische Energie ist quantifizierbar) nimmt nicht zu, wenn man sie portionsweise zuteilt. Auch bei Nahrungsmitteln würde das nicht funktionieren. Man bekämpft eine Hungersnot nicht dadurch, dass man zuerst die Hülsenfrüchte zuteilt, dann die Kartoffeln, dann das Mehl und dann das Gemüse.
Auch der Vorschlag, die verbliebenen Energiemengen reihum nacheinander den verschiedenen Regionen Deutschlands zuzuteilen und die übrigen Regionen vorübergehend vom Stromnetz abzuklemmen widerspricht der Forderung, dass die Strommengen just in time geliefert werden müssen.
Fazit: Während eines langdauernden und großräumigen Stromausfalles gibt es keine staatlich gestützte Markteinführung der dringend benötigten Langzeitspeicher für Sonnen- und Windenergie mehr. „Morgen ist es zu spät“ heißt es in dem Thriller „BlackOut“ von Marc Elsberg.
Wenn die Großkonzerne ihr Vabanque-Spiel verlieren, verlieren Tausende von uns Gesundheit, Vermögen und Leben
Empörend ist bei diesen Vorschlägen, dass sie offenbar nicht ernst gemeint sind, sondern nur zur Beruhigung der technisch uninformierten Bevölkerung dienen sollen. Empörend ist auch, dass die „Energiepolitiker“ keinen Widerspruch anmelden. Wie lange wollen wir uns das noch gefallen lassen? Wollen wir das Vabanque-Spiel der Großkonzerne weiter unterstützen? Ja, es ist ein Vabanque-Spiel, aber ein sehr einseitiges. Wenn es gut geht, stecken sie die Gewinne ein, wenn es missglückt, verlieren viele Tausende von uns ihre Gesundheit, ihr Vermögen, ja ihr Leben.
Wenn wir uns wehren wollen, müssen wir die besseren Argumente haben. Deswegen: Fortsetzung folgt in ‚Umdenken bei der Stromversorgung 2’
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