Von Kajo Breuer
Mitte Juli verabschiedete die französische Nationalversammlung ein Gesetz zur „Transition énergétique“, dem Pendant zur deutschen „Energiewende“. Die Botschaft: mehr Erneuerbare, weniger CO2, weniger Atomkraft. Was ist davon zu halten? Was bedeutet das Gesetz für die deutsch-französische Zusammen-arbeit in unserem Grenzraum?
Als kurz nach der Katastrophe von Fukushima in der Mitgliederversammlung des „Eurodistricts SaarMoselle“, in dem sich vor einigen Jahren Regionalverbände aus dem Saarland und Lothringen mit der Stadt Saarbrücken als Kern zusammengeschlossen hatten, von deutscher Seite eine kritische Resolution zum AKW Cattenom eingebracht wurde, mündete dieser Vorstoß fast in einen Eklat, so aufgebracht waren einige französischen Delegierte. Dies, obwohl auf vielen anderen Politikfeldern die gewählten Vertreter/innen seit langem eine gute Zusammenarbeit praktizieren. Nicht allen Beteiligten auf saarländischer Seite war vorher bewusst, dass – und wie stark – in Frankreich die Nutzung der Kernenergie nicht nur als eine Frage der Energiepolitik, sondern auch der staatlichen Souveränität und der „grande nation“ angesehen wird. Wird sich durch die französische „Energiewende“ an dieser Haltung etwas ändern? Ist mit einem neuen Umgang hinsichtlich Cattenom und Bure zu rechnen?
Die wesentlichen Ziele der französischen Energiewende Im Vordergrund des verabschiedeten Gesetzes stehen folgende Ziele:
- Die Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase um 75 Prozent bis 2050 (in Bezug auf das Basisjahr 1990)
- Verringerung des Endenergieverbrauchs bis 2050 um die Hälfte und Senkung des Verbrauchs fossiler Energieträger um 30 Prozent (durch Verfolgung der Zie-le Energieeffizienz und Suffizienz)
- Die Diversifizierung der Stromerzeugung und die Reduktion der Atomkraft (auf 50 Prozent bis 2025)
- Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien am gesamten Endenergieverbrauch bis 2030 auf 32 Prozent (2012: 14 Prozent) sowie an der Stromerzeugung auf 40 Prozent.
Wie unschwer zu erkennen, sind diese Ziele in verschiedenster Hinsicht den Zielen der deutschen Energiewende durchaus ähnlich. Manche Unterschiede in den Zielen ergeben sich aus Unterschieden in den Ausgangslagen, zum Beispiel lässt sich die etwas niedrigere Zielgröße bei der Reduzierung der Treibhausemissionen dadurch erklären, dass in Frankreich der gegenwärtige Wert mit 8,3 Tonnen/CO2eq pro Kopf deutlich niedriger liegt als in Deutschland (11 Tonnen). An dieser Stelle sollen jedoch nur wenige ausgewählte Aspekte der „Transition énergétique“ angesprochen werden.
Die Rolle der Atomkraft
Obwohl Frankreich als Atomstaat gilt, sind interessanterweise gewisse Parallelen in den Anstrengungen Deutschlands und Frankreichs zu erkennen, den Anteil der Atomkraft zurückzufahren. Deutschland wird zwischen 2010 und 2022 rund 140TWh Atomstrom ersetzen müssen, was in etwa der Menge entspricht, die Frankreich ausgehend vom aktuellen Niveau ersetzen müsste, um den Anteil von 75 auf 50 Prozent der Stromerzeugung zu reduzieren.
Einerseits. Andererseits: Bei der Atomkraft wird zunächst eine Kapazitätsobergrenze aller französischen Reaktoren von zusammen 63,2 Gigawatt festgelegt. Das entspricht dem heutigen Stand. 55 der 58 bestehenden Reaktoren wurden zwischen 1970 und 1984 gebaut, durchschnittlich sind die französischen Reaktoren seit 30 Jahren in Betrieb. Die französische Nuklearsicherheitsbehörde wies vor einiger Zeit darauf hin, dass in den nächsten Jahrzehnten aufgrund von Altersschwäche das Risiko >>systemischer Defekte<< bestünde. In einen Großteil der 58 Atomreaktoren müsste kräftig investiert werden, um längere Laufzeiten zu ermöglichen.
Konservativen Schätzungen des Kraftwerksbetreibers EdF zufolge wären bis 2025 rund 55 Milliarden Euro allein dafür aufzuwenden, die Anlagen instand zu setzen und ihre Sicherheit im erforderlichen Umfang zu verbessern. Die Verabschiedung des neuen Gesetzes ist auch dieser Notwendigkeit geschuldet. Das Gesetz enthält jedoch keinen Fahrplan für den sukzessiven Ausstieg aus der Kernenergie. Die absehbare Folge: an jedem einzelnen Kraftwerk wird sich in Zukunft der politische Konflikt entzünden. Wozu das führt, kann man am AKW Fessenheim sehen. Kaum, dass sich Widerstand gegen die von Hollande versprochene Schließung des ältesten AKWs erhob, machte der Präsident einen Rückzug. Hollande ist ohnehin dafür bekannt, dass er beim ersten Gegenwindchen sich auf den Boden wirft und im Krebsgang zurückbewegt. Hinzu kommt, dass der mehrheitlich von Oppositionsparteien dominierte Senat nun gegen die Senkung des Atomstromanteils stimmte.
Ein möglicher Regierungswechsel 2017 könnte dementsprechend auch eine Wende rückwärts in dieser Frage zur Folge haben. Insofern bleibt die Zukunft der Atomkraft in Frankreich ungewiss. Hoffnung und Skepsis für die deutsch-französischen Zusammenarbeit Die „Transition énergétique“ kann für die deutsch-französische Zusammenarbeit durchaus positive Auswirkungen haben. Die deklarierten strategischen Ziele der beiden Länder weisen in vielerlei Hinsicht Übereinstimmungen auf. Das schafft einen einheitlichen Bezugsrahmen, innnerhalb dessen man sich in einer grenzüber-schreitenden Diskussion bewegen kann. Aber Skepsis ist angebracht: Ein breiter gesellschaftlicher Konsens wie in Deutschland hinsichtlich des Ausstiegs aus der Atomenergie existiert in Frankreich nicht. Die Nutzung der Kernenergie genießt immer noch große Akzeptanz in der französischen Gesellschaft. Soweit die Atomkraft problematisiert wird, geschieht dies weniger aus Gründen wie in Deutschland, wo die Beherrschbarkeit dieser Technologie grundsätzlich in Frage gestellt wird, sondern aus technologischen Erwägungen heraus (Alter, Laufzeit, Kosten der Instand-setzung o. ä.). Da der Rückzug aus der Atomenergie in Frankreich Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung und Profilierung ist und überdies kein „Fahrplan“ für den „Ausstieg“ besteht, schafft dies den lokalen Honoratioren Raum und Gelegenheit, vor Ort die Stilllegung des jeweiligen AKWs zu hintertreiben.
Hinzu kommt Folgendes: Die EdF ist ein der Form nach privates, der faktischen Abhängigkeit nach staatliches Unternehmen (der Staat hält ca. 85% der Anteile). Jede Einschränkung der EdF-Aktivitäten kann mithin zu einer Belastung des Staatshaushaltes führen, dies in einer Zeit, da Paris einem Konsolidierungsdruck nicht zuletzt auf Betreiben Berlins ausgesetzt ist.
Schließlich bilden die vielen Staatsbediensteten und ihr Grad an gewerkschaftlicher Organisierung, vor allem in der kommunistischen Gewerkschaft CGT, ein nicht zu unterschätzendes Erpressungspotential. So gerät die sozialistische Regierung in eine Zange von rechts und von links. Alles in allem also keine hoffnungsvollen Perspektiven für einen wirklichen Rückzug aus der Atomkraft.
Was bedeutet dies für das Saarland und die Stadt Saarbrücken? Was Cattenom und Bure betrifft, ist derzeit – leider – keine „Wende“ in Sicht. Das verabschiedete Gesetz erleichtert vielleicht die grenzüberschreitende Diskussion, insoweit sie sich offiziell auf einen gleichgearteten Bezugsrahmen beziehen kann. Was jedoch in nächster Zeit Gespräche belasten dürfte, hat weniger mit Energiepolitik und dabei mit der Frage der Atomenergie zu tun, als vielmehr mit der neuen hegemonialen Rolle Deutschlands in Europa, wie sie nun bei der Griechenlandkrise zutage trat. Frankreich und Deutschland bezogen dabei unterschiedliche Positionen. In den Medien wurde sogar darüber spekuliert, ob es zum Bruch der deutsch-französischen Freundschaftsbeziehungen kommen werde. Die deutsche Regierung wird ob ihres herrischen Vorgehens von halb Europa angefeindet, nicht zuletzt von einem großen Teil der französischen Gesellschaft. Je nachdem wie die deutsche Regierung, aber auch wie die ökologische Bewegung in der Frage der Atomenergie agiert, wird „die deutsche Seite“ als anmaßend empfunden werden oder auf Verständnis treffen.
Die Öko-Bewegung steht also nicht nur vor der Aufgabe, in aller Entschiedenheit ihre Ziele dies- und jenseits der Grenze zu verfolgen, sondern auch vor der Herausforderung, dies in einer Form zu tun, die nicht die deutsch-französische Freundschaft beeinträchtigt und erst recht nicht – unbeabsichtigt – chauvinistischen Tendenzen in Deutschland Vorschub leistet.