von Kajo Breuer
Mehr oder weniger regelmäßig befasst sich der saarländische Landtag mit dem Atomkraftwerk Cattenom und verabschiedet bei solcher Gelegenheit mehr oder weniger einvernehmlich eine Resolution, in der die Stilllegung des AKWs gefordert wird. Wird ein Störfall bekannt, erscheint am kommenden Tag ein Artikel in der Saarbrücker Zeitung mit der Nachricht, die Fraktionen des Landtages hätten in aller Entschiedenheit ihre Forderung erneuert, den „Schrottmeiler“ endlich abzuschalten.
In der darauf folgenden Sitzung des Landtages bekräftigen diese ihre Äußerungen. Soweit das Bild, das sich dem „einfachen Bürger“ bietet, der sich für das Thema „Cattenom“ interessiert. Reflexhafte Reaktionen und Rituale, aber keine erkennbaren Fortschritte. An den Verantwortlichen auf französischer Seite scheinen Kritik und Empörung abzuperlen wie Regentropfen an einem Friesennerz.
Polemisch überspitzt könnte man sagen, nicht nur Fortschritte sind nicht zu sehen, sondern auch Schritte überhaupt. Angesichts dieser unbefriedigenden Situation ist doch der Gedanke naheliegend, ob es nicht sinnvoll und hilfreich wäre, sich mit einzelnen Fragestellungen und Begründungsfragmenten französischer Verteidiger des Status quo auseinanderzusetzen, um in der Debatte „Geländegewinne“ zu erzielen. Hier ein paar Beispiele.
Nationale Souveränität, Arbeitsplätze und das schnöde Geld
Erstes Beispiel: Kürzlich sang auf einer Veranstaltung im Großen Saal der Arbeitskammer eine Spitzenfunktionärin der französischen Gewerkschaft CGT das hohe Lied der nationalen Souveränität, als deutsche Teilnehmer die französische Atompolitik kritisierten. Gemeint war die eigene Souveränität über die Energiegewinnung und-versorgung, nicht jedoch die Souveränität der anderen über die Auswirkungen einer solchen Energiepolitik auf ihre Bürgerinnen und Bürger sowie auf ihr Staatsgebiet. Nach der Katastrophe von Tschernobyl war rund ein Viertel des nationalen Territoriums verseucht – von Belarus/Weißrussland wohlgemerkt, Tschernobyl aber liegt in der Ukraine. Wo die Folgen einer nationalen Politik Grenzen überschreitet, da findet auch der Begriff der nationalen Souveränität eine Grenze. Wo eine alte Politik nicht mehr weiterhilft, da wird eine neue Politik benötigt, da muss das Instrumentarium der nationalen Souveränität eine Ergänzung erfahren. Aber wie? Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, dass Nachbarschaftskonflikte um einen Komposthaufen am Rande eines Grundstücks mehr analytischen und regulatorischen Aufwand erfahren als Nachbarschaftskonflikte um an der Grenze gelegene Atomkraftwerke.
Zweites Beispiel: Verschiedentlich wird gegen die Kritiker von Cattenom hilfsweise das Arbeitsplatzargument ins Feld geführt. Es handele sich um eine strukturschwache Region, die kaum ökonomische Alternativen biete, wenn das Atomkraftwerk stillgelegt werde. Jemanden, der von der Gefährlichkeit der Atomkraft überzeugt ist, wird dieses Argument nicht besonders beeindrucken, andere Menschen jedoch durchaus. Will man den Kampf um die Köpfe gewinnen, wird man sich (notgedrungen) mit diesem Argument auseinandersetzen müssen. Wie also könnten Alternativen aussehen?
Drittes Beispiel: Jüngst wartete der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel mit einer bemerkenswerten Intervention auf. Luxemburg fürchte um seine Existenz. Sollte es ein Problem in dem altersschwachen Atomkraftwerk Cattenom geben, dann drohe das Großherzogtum „von der Landkarte gewischt zu werden“, äußerte Bettel und bot Frankreich einen finanziellen Beitrag zur Abschaltung des Meilers an. Zuvor hatte bereits Oskar Lafontaine mit einem ähnlichen Vorschlag bezogen auf die deutsche Seite auf sich aufmerksam gemacht. Bettels Vorschlag muss man als ungewöhnliche Offerte bezeichnen. Postwendend lehnte beispielsweise der saarländische Umweltminister Reinhold Jost einen solchen Weg ab. Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls kommentierte Bettels Angebot mit den kargen Worten: „Botschaft angekommen.“ und hüllte sich ansonsten in Schweigen. Seitdem hat man nichts mehr zu dem Thema gehört. Bettels Initiative ist verständlich, die Bedenken dagegen ebenfalls. Schließlich wehren sich in Deutschland die Verfechter einer Energiewende gegen die Versuche der Konzerne, die Kosten des Atomausstiegs auf den Steuerzahler abzuwälzen. Warum sollte man dann für einen solchen Schritt sein, wenn es sich um Konzerne und Atomkraftwerke im Ausland handelt? Andererseits wird der einstimmige, auf Interessenausgleich zielende Beschluss der deutschen Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) unter den Vorsitzenden Jürgen Trittin, Matthias Platzeck und Ole von Beust ökologische, das Verursacherprinzip vertretende Puristen nicht unbedingt zufriedenstellen, weil hier – wenn auch in einem begrenzten Umfang – der Staat und mithin der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Der gesellschaftliche Konsens in dieser Grundsatzfrage jedoch ist ein wichtiger Faktor, um einem Ausstieg aus der Atomenergie und der Energiewende zum Erfolg zu verhelfen. Insofern scheint der Gedanke an finanzielle Beiträge Deutschlands und Luxemburgs nicht so völlig abwegig zu sein, wie man auf den ersten Blick meinen könnte.
„Großes entsteht immer im Kleinen“
Will man die nationalen Beschränkungen überwinden, dann muss man die so oft beschworene „Großregion“ in den Blick nehmen. Warum sollte man sich nicht auf Basis eines gemeinsamen Zieles „Ausstieg aus der Atomenergie“ auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Man stelle sich (wie in der deutschen Atom-Kommission) die Symbolkraft eines einvernehmlichen Beschlusses aller relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen in dieser Sache vor! Warum setzen wir nicht unsere Ressourcen unter anderem an den Hochschulen ein, um entsprechende Szenarien zu erarbeiten? Reflexe und Rituale alleine reichen nicht.